Das Selfie im Wandel der Zeit

Dieser Beitrag entstand für „Ich bin hier“ – Blogparade mit der Kunsthalle Karlsruhe zum Thema #Selfie“ (#Selfierade)

Zu Beginn dieses Beitrags stelle ich die These auf, dass das Selfie kein neues Phänomen ist. Es diente seinem Urheber immer als Botschaft. Gewandelt haben sich die Intention und die Form der Botschaft.

Einleitung

Sie hängen im Corridoio Vasariano der Galleria degli Uffizi, im Rijksmuseum Amsterdam, im Prado, im Louvre oder in der alten Pinakothek – die Rede ist hier von den Selbstportraits der alten Meister. Dank ihrer handwerklichen Kunst sind diese Portraits wichtige Zeitdokumente, die von der gesellschaftlichen Stellung, dem Zustand und häufig auch von den Werten der abgebildeten Personen berichten. Der portraitierte Mensch nutzte sein Bildnis um etwas von sich mitzuteilen und sich ein Stück weit unvergänglich zu machen. Ein Portrait war bis zum 20. Jahrhundert ein Privileg, dass sich nur leisten konnte wer über die entsprechenden Mittel verfügte. Eindrucksvolle Beispiele für diese Art von Botschaft sind die Selbstportraits von Dürer. In seinen späten Portraits inszenierte sich der Künstler als Patrizier und als privilegierter Ratsherr.

Dürer – Selbstbildnis im Pelzrock (Alte Pinakothek)

Selbstportraits haben viel mit Selbstinszenierung zu tun. Das gesellschaftliche Privileg der Selbstinszenierung nahm mit der Verbesserung der Fototechnik und der Kameratechnik, ab Ende des 19. Jahrhunderts, ab. Nun war es erstmals auch wenig begüterten Personen möglich Portraits anfertigen zu lassen. Die Fotografie wurde im 20. Jahrhundert zum Massenphänomen und die aufgenommenen Bilder fanden rasche Verbreitung über die Medien.

Hauptteil

Mit der Verbreitung der Fotografie änderte sich auch die Kommunikation. Das Bild stieg zum bevorzugten Medium für Botschaften auf. Personen die es ins öffentliche Rampenlicht zog nutzten die Macht der Bilder zur Verbreitung ihrer Botschaften.

Quelle: The British Government

Dieses berühmte Bild zeigt den britischen Premier Winston Churchill in einer wohl inszenierten Pose. Die Botschaft für die Öffentlichkeit ist klar: Victory! Mit anderen Worten: Ich habe Blut, Schweiß und Tränen von euch verlangt und dieser Weg war  erfolgreich. Ihr könnt mir vertrauen.

Mit dem Aufschwung des Massenmediums Fernsehen wurde die öffentliche Selbstinszenierung populär. Prominente wurden gesucht und von den Medien aufgebaut. Sportler, Künstler, Bohemians, Models und die Mächtigen aus Politik und Wirtschaft. Für jede dieser Rollen gibt es prominente Vertreter und ein großes Publikum, dass deren verbale und non-verbale Auftritte verfolgt. Eine dieser öffentlichen „Selfie-Ikonen“ war in den 60-er und 70-er Jahren des 20. Jahrhunderts Gunther Sachs. Der bisweilen exzentrisch auftretende Nachkomme eines Industriellen wurde von den Medien als “Playboy” aufgebaut. Zu seiner Selbstdarstellung gehörten immer die hübschen Begleiterinnen. Dass sich die Geister an ihm schieden tat seiner Popularität keinen Abbruch.

Ein weiteres prominentes Beispiel für Selbstinszenierung ist der ehemalige italienische Ministerpräsident S. Berlusconi.

Quelle: S. Berlusconi

Berlusconi war bereits vor seinem Amtsantritt erfahren im Umgang mit den Medien. Als Ministerpräsident stellte er sich gerne als gütiger, souveräner Führer seines Landes dar. Die stilvollen Maßanzüge und das verschmitzte Lächeln waren ein  Markenzeichen des modebewußten Mailänders. Mimik und Kleidung sollten Sympathie und Seriosität ausstrahen. Lange Zeit verstand er es meisterhaft die inszenierte Rolle mit Leben zu füllen. Die Maske fiel vor allem in seiner vierten Amtszeit häufiger. An einigen Bildern die ihn mit versteinerter Miene zeigen wird deutlich wie groß bisweilen die Diskrepanz zwischen zelebriertem Selbstbild und Gemütszustand war.

Mit der Verbreitung des Internet und der Entwicklung der sozialen Netzwerke bekam die Selfie-Manie einen weiteren Schub. Die mehr oder weniger gekonnte Selbstdarstellung bescherte den Nutzern Erfolgserlebnisse in Form von symbolischer Zustimmung und neuen Kontakten. Ein übriges tat die Entwicklung leistungsfähiger Smartphone-Kameras. Nun gab es kein Halten mehr. Um sich hervor zu tun wurden immer exotischere Hintergründe gewählt.

Eine Sonderstellung im Selfie-Hype nimmt die Gruppe der Extremsportler ein. Hierbei handelt es sich um Menschen, die bis an die Grenze der sportlichen Belastbarkeit gehen. Dabei nimmt der Extremsportler bewußt ein relativ hohes Gesundheitsrisiko in Kauf. Richtig ist aber, dass die Mehrheit dieser Menschen nicht in das öffentliche Rampenlicht drängt.

Gleichwohl ist die Signalwirkung nicht zu übersehen. Die spektakulären Bilder vom Stratosphärensprung des Felix Baumgartner finden Aufmerksamkeit und Reichweite in den Medien. Nachahmer treten auf den Plan. Besondere Blüten treibt der Drang nach Aufmerksamkeit bei den sogenannten Roofern. Dies ist eine Gruppe Jugendlicher und junger Erwachsener, die ohne Sicherungsmaßnahmen auf Hochhäuser, Kranausleger oder exponierte Brückenteile klettern. Eine Hochburg des Roofing ist Rußland. Viele Roofer nutzen die Gelegenheit zu einem Selfie, das in den sozialen Medien veröffentlicht wird.

 

Quelle: James Kingston

Dieses Bild des Briten James Kingston, das über einer Autobrücke aufgenommen wurde, demonstriert eindrucksvoll die neue Macht des Selfie. Die Szene war Bestandteil eines Films der European Outdoor Film Tour 2014. Auf dem Höhepunkt seiner “Mutprobe” vollführt Kingston einen ungesicherten Salto rückwärts. All dies wurde von seinem ukrainischen Kollegen aufgenommen und später ins Netz gestellt. James Kingston ist ein Professional, der seine Risiken wohl kalkuliert. Das Problem ist, dass seine Bilder eine große Anziehungskraft auf einige Menschen ausüben.

Das Phänomen der Roofer ist nur die Spitze des Eisbergs der Selbstdarstellung. Interessant ist dieses Phänomen, um zu beleuchten was Menschen dazu treibt sich in derartige Situationen zu begeben?  Was steckt hinter dem riskanten Streben nach Aufmerksamkeit? Vermutlich hat der Drang nach dem spektakulären Selfie mit der Reizüberflutung der Gesellschaft zu tun. Im Zeitalter des grenzenlosen Internet jagen Neuigkeiten mit Lichtgeschwindigkeit durch die Medien. Wir können nur einen winzigen Teil dieser Informationsflut aufnehmen. Es bleibt ein diffuses Dauerrauschen, das erst abebbt, nachdem wir das Medium abgeschaltet haben. Das ist ein Problem für Menschen die gerne im Rampenlicht stehen. Stellen Sie sich vor, Sie wollen etwas mitteilen und keiner bemerkt es! Da kommt dann schnell die Frage nach der Wahl der Mittel auf. Wie möchten Sie sich der Zielgruppe mitteilen, um Wirkung zu entfalten? Für Dürer war die Frage relativ leicht zu beantworten. Mit Pinsel und Farbe, mit den Mitteln seiner Kunst. Für Churchill und Berlusconi war die Frage auch einfach zu beantworten. Sie bedienten sich der Medien, weil Beide bereits im öffentlichen Rampenlicht standen. Für die vielen unbekannten Selbstdarsteller ist das schon deutlich anspruchsvoller. Sie stellen sich die Frage: Was könnte die Netzgemeinde aufhorchen lassen? Ein besonderes Selbstbildnis vermutlich! Genau so haben das viele Nutzer auf Facebook und  Instagram für sich beantwortet. Dabei sind der Kreativität kaum Grenzen gesetzt. Das muss nicht gleich so spektakulär wie bei den Roofern sein. Sumbal Jawid1 hat in einer fesselnden Analyse über die Macht der sozialen Medien festgestellt: Die sozialen Netzwerke fördern den fotografischen Narzissmus. Das ist insbesondere für Heranwachsende ein Problem. Sollen wir machen was anderen gefällt und was hat das dann noch mit uns zu tun?

Fazit

Im Zeitvergleich lässt sich feststellen: Das Selfie ist kein neues Phänomen. Menschen haben zu jeder Zeit die Selbstdarstellung für ihre Botschaften genutzt. Die Form der Übermittlung, und die Art der Selbstinszenierung haben jedoch einen grundsätzlichen Wandel erfahren. Während das Selbstportrait bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts eher privilegierten Kreisen der Gesellschaft vorbehalten war, ist diese Exklusivität mit der Verbreitung der Fotografie und der Massenmedien verschwunden. Die technischen Möglichkeiten, und der soziale Drang sich hervorzuheben treiben bisweilen seltsame Blüten. Dabei ist ein regelrechter Wettbewerb um die beste Selbstdarstellung entstanden.

1Sumbal Jawid (2015): SELFIE-Hype – Im Rausch einer Selbstinszenierung. Das MILIEU.

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