Das abgerissene Handelsschiff – der Helmholtzplatz in Berlin

Wer oft im Prenzlauerberg in Berlin entlang der Raumerstraße geht, kennt den von Altbauten umgebenen Helmholtzplatz. Die Fassaden der Häuser rund um den Kiez-Park laden den Betrachter ein, die geometrischen Ergänzungen zu vollenden oder in floralen Ornamenten zu verweilen – zumindest eine Oberflächenbeschäftigung für das Auge, Stilrichtungen sinnvoll zu bezeichnen… Doch was mich im Rahmen der Blogparade #RAUMGEFÜHL beschäftigt, das liegt im Übergang von Form und Funktion zu Spielräumen. Hier treffen Raumgestaltung und Phantasie aufeinander, entsteht eine Baukunst, die Räume für Rollenspiel und kreative Resonanz formt, wo das Spielen funktioniert – also als einen Platz des Spielens. Und warum nicht beim Spielplatz beginnen?

Bis zum Ende des Frühjahres 2014 ankerte hier ein buntes hölzernes Handelsschiff auf welligem Sand, das von Eltern mit Kindern geschätzt und noch mehr von deren Kindern geliebt wurde. Über den offenen Bug enterten die Mädchen wie Jungen das Unterdeck, das ebenerdig zum stillen Sandmeer dazu ermunterte, das raue Holz zu betasten, aus den Fenstern zu blicken, sich an den Balken zu stützen und die Treppe auf das Oberdeck zu passieren, um über eine Kettenbrücke zur hohen Aussichtsebene zu gelangen oder über die metallene Rutsche am Heck zu flüchten. Als es noch vor Anker lag, bot das hölzerne Handelsschiff den Kindern Abwechslung, aus dem sachlichen Alltag hinein in eine Welt der Vorstellung zu treten und die Sinne zu schulen.

Zeitlos und vergessen aller Zeit lernen Kinder mittels der Phantasie die räumlichen Bedingungen in eine andere Welt umzuwandeln. Im Falle des Handelsschiffes können Rollen in Gegnerschaft zwischen Piraten und Marinesoldaten bis hin zum friedvollen Passagier reichen, aber auch ganz fremd des Kontextes von Form und Funktion besetzt sein. Nach meinem Raumgefühl gibt es dennoch eine entscheidende Wechselwirkung zwischen Raumgestalt und Gefühlswahrnehmung, nämlich wie authentisch lebendig, künstlich nüchtern oder künstlerisch verfremdet die Spielräume gestaltet sind, kann eine spürbare Wirkung auf die gelebten Spielweisen zeigen. So wie mich das Raumgefühl erfüllt, spiegelt der Raum mich ansprechende Teile meines Wesens wieder – Räume in denen ich mich fühle, das sagt etwas über mich aus.

Der Spielplatz ist der Raum, das Wirkliche mit der Kraft des kreativen Denkens zu verfremden und durch Verfremdung eine neue Sichtweise zu gewinnen, indem selbst Matrosen und Schiffsmeuterer mal die Rollen zu tauschen in der Lage sind, um sich bescheiden als spielende Passagiere zu verstehen. Das erscheint mir als das Raumgefühl auf dem Spielplatz, wo für die begeisterten Kinder alles Regelwerk um die Spielstätte kreist und alles Spiel die Grundform des Handelsschiffes ausgestaltet.

Ohne verbissen am Schiff zu klammern und den Ansprüchen zwischen Stadtverwaltung und den Wünschen aus dem Kiez zu unterliegen, wurde das Schiff am Helmholtzplatz wegen seines maroden Zustandes abgerissen. Wie es allen Orts an Geld mangelt – so fehlten der Bezirksverwaltung Pankow auch die Mittel, neben dem bunten Handelsschiff zwanzig weitere Spielstätten in Stand zu halten. Zum Leidwesen vieler Kinder erfolgte der Schiffbruch Ende April 2014, auch weil die Eltern nicht zur Erhaltung in die eigene Tasche griffen – das Raumgefühl geht über in die Erinnerung.

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